Winter-Baum-Wissen 1

Auch wenn sich im Januar teilweise schon frühlingshafte Temperaturen haben spüren lassen, die einem so richtig die Lust auf den Schnee vergällen, sind wir immer noch mitten im Winter. Hier in Oberbayern zumindest. Hat man hier und da auch schon ein paar mutige, vorwitzige Austriebe von Brennnessel, Knoblauchrauke und Co. erspähen können, sind sie zwischenzeitlich auch wieder von Schnee bedeckt. Auf das große Ergrünen müssen wir allenfalls noch warten.

Und dennoch bietet die Pflanzenwelt draußen vor der Tür auch jetzt Möglichkeiten, aus ihr zu schöpfen. Die Laubbäume stehen noch kahl, aber sie stecken schon voll geballter Vorfreude: genau, in den Knospen! Diese kleinen Dinger sind wahre Wunderwerke der Natur!

Es ist doch absolut faszinierend, dass in so einer kleinen Knospe – nicht mal so groß wie ein Fingernagel! – das komplette Gewebe für Blüten, Blätter und Zweige – die später Ausmaße von mindestens einer Armlänge Pflanzengewebe im Sommer ausmachen – angelegt ist. Alles schon vorhanden! Nur extrem komprimiert!

Nicht verwunderlich also, dass dieses (fachmännisch ausgedrückt) Embryonalgewebe als sehr kraftvoll und heilsam gilt. Die sogenannte Gemmotherapie – also Therapie mit der Hilfe der Knospen (lat. gemma = Knospe, Auge, Edelstein) – in anderen teilen Europas längst und durchaus mehr angewandte Phytotherapie – bekommt auch bei uns zunehmend Anerkennung. Aufgrund Mangel an wissenschaftlichens Studien wird sie jedoch nur begleitend oder ergänzend zur Schulmedizin empfohlen.

Ich habe mich mal in unserem Wald umgesehen und das Erste, was bei der Beschäftigung mit Knospen klar wird – man muss die Laubbäume erstmal an den Knospen bzw. ihren Wintermerkmalen erkennen lernen.

Am einfachsten ist natürlich, einmal zu schauen: hängen vielleicht noch alte Blätter, Fruchtteile oder andere Erkennungsmerkmale am Baum? Dann lohnt sich sicherlich auch mal ein Blick auf den Boden – welche Blätter und Früchte liegen um den Baum herum? Und dann gibt es natürlich noch so eine Art Ausschlussverfahren: wer weiß, dass er sich in einem Buchenwald befindet, der wird eine Kastanie mittendrin von vornherein ausschließen können.

Bei uns gibt es eigentlich so gut wie nur Buchen-Mischwälder, also Wälder, in denen die Buche neben Fichten und Tannen der vorherrschende Laubbaum ist. Die Buche (Fagus sylvatica) gilt ja auch als „die Mutter des Waldes“, weil sie durch ihre ungeheure Blattmasse einen enormen Humusvorrat für den Wald erzeugt. Ihre Knospen sind eigentlich recht leicht zu erkennen: es sind die schlankesten und spitzesten Knospen unserer heimischen Bäume. Dadurch, dass sie so schlank sind, sind sie für ein Gemmo-Mazerat (also ein Knospen-Auszug mit Ethanol und Glycerin) leider nicht besonders ergiebig. Da ich aber keine Bäume schädigen wollte, habe ich schlicht aus einem Berg von Verschnitt, den der Förster wohl vorgenommen hat, seeehr lange ein paar Knopsen gesammelt.

Außerdem konnte ich einen gefällten Bergahorn (Acer pseudoplatanus) finden. Auch diesen armen Tropf habe ich ruhigen Gewissens um seine Knospen gebracht – er wird sie eh nicht mehr brauchen.

Zugegeben, diese beiden Kandidaten sind nicht unbedingt die „üblichen Verdächtigen“ bei der Herstellung von Knospen-Präparaten. In der Regel sind Pappel und Schwarze Johannisbeere die „Alleskönner“. Aber für den Anfang nimmt man doch am besten das, was gerade verfügbar ist; in meinem Fall die Buchen- und Ahorn-Knospen.

Ein Mazerat aus aus Buchenknospen wird beispielsweise bei Cellulite empfohlen. Es wirkt entgiftend, indem es die Leber und die Nieren anregt, zudem antiallergisch, und senkt den Cholesterin-Spiegel. Da kommt mir als erstes eine Salbe für die Cellulite in den Sinn… leider gehöre ich zu denen, die das gut vertragen könnten.

Über (Berg)Ahorn-Knospen ist weit weniger zu erfahren, da diese Pflanze eher seltener in der Anwendung ist. Er wird ebenso zur Senkung des Cholesterin-Spiegels eingesetzt, und hat zudem erweichende Eigenschaften, die sich auf Muskelverhärtungen, Gallensteine, Verstopfung, Adipositas und auch Arteriosklerose positiv auswirken. Auch damit könnte ich etwas anfangen.

Bis der Ethanol und das Glycerin verfügbar sind, um ein Mazerat herzustellen, lassen sich die Knospen einfach in einem Schraubglas im Garten oder auf dem Balkon aufheben (oder im Kühlschrank). Für ein paar Tage ist das vertretbar, ähnlich wie bei (Wild-)Kräutern.

Bleibt noch Zeit, ein paar weitere Baum-Vertreter und deren Knospen näher zu betrachten:

Die Linde (Tilia cordata) hat eine tief gefurchte Borke, ihre Knospen sind mehr knubbelig-dick und stets braun-rötlich bis zum frisch-grünen Austrieb im Frühjahr. Sie sitzen wechelständig am Zweig, wie die der Buche.

Die Walnuß (Juglans regia) erkennt man immer sofort an ihrem „Affengesicht“, das unterhalb der Achselknospe sitzt. Das Affengesicht ist im Grunde die Narbe des abgeworfenen Laubblattes, das zuvor in der Achsel saß. Damit ist es fast schon hinfällig, die silbrig-behaarten Endknospen zu beschreiben, die von ihren eher mit grün-braunen Knospenschuppen besetzten Seiten-Knospen am Zweig begleitet werden, und viel weniger auffällig sind, als dieses markante Abschlussgewebe.

Und dennoch ist es natürlich immer sicherer, wenn man Fach-Literatur zur Hand hat, und sich die Pflanze auch als Ganzes ansieht, damit man am Ende nicht doch noch einer Verwechslung aufliegt. Im Internet findet man zahllose „Schnellbestimmungs-Schlüssel“, die sich zur groben Einordnung zumindest ganz gut eignen.

Sollte dennoch Unsicherheit bestehen, lässt man der Pflanze lieber die Knospen, und stellt lieber ganze Zweige in eine Vase. Dann ist es auch eine schöne Überraschung, wenn die Knospen später aufbrechen und schöne, dekorative Blätter (und vielleicht auch Kätzchen und Blüten) enthüllen.

In jedem Fall sollte man die Knospen immer lieber von frischem Verschnitt – und davon findet man in Wald und Flur jetzt wirklich reichlich – als von den lebenden Bäumen brechen. Während man sich selbst „nur“ eine Verbesserung kleiner Wehwehchen davon versprechen kann oder einen kleinen Snack, bedeutet es für die Pflanze den Verlust von sehr viel Arbeit und Energie, die sie in die Entwicklung der Knospen investiert hat.

Wo die Liebe hinfällt…

Die meisten werden das schöne Sprichwort von der Liebe kennen, das so trefflich umschreibt, wie hilflos man den Gefühlen ausgesetzt ist, wenn einem das Schicksal einen Romeo (oder eine Julia) geschickt hat, der oder die zumeist „nicht gut“ für uns zu sein scheint:

„Wo die Liebe hie´fällt, da bleibt se flacka, und wenn´s auf´m Mischthaufa isch!“ so formulierte es meine gute Oma noch im Augschburgerischen bestem Schwäbisch.

Aber dass man das auch auf das Pflanzenreich anwenden kann, dürfte den wenigsten bewusst sein. Gut, man kann es nicht eins zu eins auf das Pflanzenreich übertragen, denn in diesem Fall meine ich nicht das gegensätzliche Geschlecht, das sich die Pflanze aussucht, sondern viel mehr den Nährboden, den sich die Pflanze sucht. Ich habe nämlich ein paar dreiste Hollerbüsche gefunden, die tatsächlich eine stattliche Größe erreichen konnten, obwohl ihr „Boden“ alles andere als üblich ist.

Es handelt sich hierbei nicht um sogenannte Epiphyten, also Pflanzen, die ihre Lebensweise darauf ausgerichtet haben, auf anderen Pflanzen zu gedeihen (wie das z.B. Tillandsien und Bromelien tun), sondern vielmehr um eine unverhoffte Zusammenkunft von Holunder-Same und etwas feuchter, humoser, moosiger Baumborke (in diesem Fall Ahorn), die aus dem Holunder eine „Aufsitzer-Pflanze“ gemacht hat.

Man erkennt es tatsächlich erst auf den zweiten Blick, aber hier wachsen in einer Ahorn-Allee auf mehreren (!) Ahorn-Bäumen (Acer campestre) kleine Hollerbüsche (Sambucus nigra) in den Astachseln. Und einige haben sogar Blüten und mittlerweile Fruchtansätze.

Man könnte also meinen, dass das für den Holunder nicht lange gutgehen kann – oder auch für den Ahorn. Aber im Moment, so scheint es doch eine Art Beziehung zwischen den beiden zu geben, die bei genauerer Betrachtung nicht unbedingt nachteilig für alle Beteiligten ist: der Holunder lebt nicht parasitisch – er kann die Leitungsbahnen des Ahorns im Inneren des Stamms nicht mit seinen Wurzeln anzapfen. Er muss also dank des Mooses, genug Boden und Halt für seine Wurzeln gefunden haben, wodurch er sich auch zunächst noch ausreichend mit Mineralsalzen und Wasser versorgen kann. Sicher kann das bei zunehmender Größe schwieriger werden, aber so, wie sie jetzt „zusammenstehen“, sieht es doch recht harmonisch aus.

Der Ahorn hat auch (noch) keinen Schaden. Der Holunder hat keine solche Größe und Gewicht, die ihm schaden könnten, er wird höchstens am Stamm zusätzlich beschattet.

So manche Beziehung, die also zunächst mal „unausgeglichen“ oder „schädlich“ für einen oder beide Parteien scheint, kann sich später also durchaus noch zu einer – zwar ungewöhnlichen, aber dennoch harmonischen – Beziehung entwickeln. Wünschen wir also doch Ahorn und Holunder einfach nur Glück für ihre gemeinsame Zukunft!